Klaus Ebeling (Hg.)
Orientierung Weltreligionen
Stuttgart: W. Kohlhammer. 2., durchges. Aufl. 2011
214 Seiten 18,90 €
ISBN 978-3-17-021851-2
Ein weiteres Buch zum Thema Weltreligionen? Ja, aber ein Buch, das neue Akzente setzt. Entwickelt wurde es als „Handreichung“ vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr, um den verschiedenartigen Lebensorientierungen in der Bundeswehr bzw. in multinationalen Einsatzkontingenten sowie bei Auslandseinsätzen in den Bildungsgängen der Bundeswehr ein stärkeres Gewicht bei der Auseinandersetzung mit weltanschaulichen, religiösen und ethischen Grundfragen zu geben.
Es möchte zu einer „Kultivierung der Lebensdeutungskompetenz“ beitragen.
Am Anfang steht eine philosophische Reflexion darüber, dass jeder Mensch, ob er will oder nicht, vor die Aufgabe gestellt ist, sein eigenes Leben führen und deuten zu müssen. Der Herausgeber Klaus Ebeling, Projektleiter für den Forschungsschwerpunkt Ethik und Innere Führung am Sozialwissenschaftlichen Institut, und der Philosoph Hermann Schrödter lassen sich dabei von den berühmten Fragen Kants leiten und halten fest, dass es auf die Frage „Was darf ich hoffen?“ keine zwingend richtige Antwort gibt. Wird diese Frage nicht von vornherein als sinnlos abgewiesen, kommt als mögliche „Antwort“ das Feld der Religionen ins Spiel. „Orientierung Weltreligionen“ ist kein Nachschlagewerk. In sechs ca. 30 Seiten langen Beiträgen werden das Judentum sowie das Christentum in katholischer und evangelischer Sicht aus der Binnenperspektive von Theologen vorgestellt. Für die Darstellung von Islam, Hinduismus und Buddhismus hingegen ist eine kultur- und religionswissenschaftliche Perspektive leitend. Der Clou besteht im einheitlichen Aufbau der Beiträge, in denen eher das Ethos als das Dogma ins Zentrum gerückt wird.
Zunächst wird das „Grundverständnis“ umrissen, wobei Gesichtspunkte wie Name, Ursprung, Verbreitung, Schriften und zentrale Überzeugungen leitend sind. Knapp wird das „Ethische Profil“ skizziert, um an relevanten lebenspraktischen Problemfeldern „Ethische Orientierungen“ aufzuzeigen. Wer mit Blick auf Schule und Gemeinde eine präzise Information zu allgemeinen ethischen Fragen wie: Lebensanfang und Lebensende, Gesundheit und Krankheit, Mann und Frau, Erwachsene und Kinder, Vertraute und Fremde oder zu gesellschaftspolitisch relevanten Problembereichen wie: Menschenrechte und positives Recht, Staat und Gesellschaft, Krieg und Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität, Mensch und Natur sucht, wird hier fündig werden. Eine besondere Qualität der Beiträge besteht darin, dass die Fülle an Informationen in einer gut verständlichen Sprache aufbereitet und dabei manch eigener Akzente gesetzt wird.
Ein Schlaglicht soll auf das Verhältnis der Religionen zueinander gerichtet werden. Eine synoptische Lektüre macht deutlich, warum der Abschnitt den Titel „Interreligiöse Perspektiven“ (und nicht interreligiöser Dialog) trägt. Dabei spielt das Verhältnis der katholischen zur protestantischen Variante des Christentums eine Sonderrolle – und es ist natürlich kein Zufall, dass der evangelische Theologe Michael Moxter dem Protestantismus mit seiner Betonung des je individuellen Glaubens eine größere Pluralitätskompatibilität als dem Katholizismus attestiert. Während sein katholischer Glaubensbruder Josef Schuster SJ u. a. die Unfehlbarkeit des Papstes als ein Merkmal der römisch-katholischen Kirche betont, stellt Moxter das protestantische Verständnis von Ökumene als „versöhnte Verschiedenheit“ heraus.
Bemerkenswert sind die Darlegungen des Rabbiners Walter Homolka. Für das Judentum, mit ca. 15 Mio. Gläubigen die mit Abstand kleinste Weltreligion, war die „Idee eines christlichen Abendlandes meist nicht ungefährlich“. Sein Interesse gilt den Gemeinsamkeiten mit dem Islam: In beiden Religionen geht es um eine Offenbarung des Willens Gottes im Wort, in beiden suchen die Gläubigen die Wege göttlicher Gerechtigkeit im religiösen Recht. Das Christentum, so der Rabbiner, sei unter dem Einfluss hellenistischer Einflüsse vom jüdischen Monotheismus abgewichen, Mohammed hingegen sei ihm treu geblieben. Mit Hinsicht auf ein zeitgemäßes Schriftverständnis, das die Impulse der Aufklärung aufgenommen hat, hofft er, dass der Islam den „brüderlichen Rat des Judentums“ entgegenzunehmen bereit ist.
Einem anderen Aspekt gilt das Interesse der beiden christlichen Theologen, die die religionspolitische Problematik von Gewalt im Namen Gottes in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen. Der Islamwissenschaftler Stephan Conermann, der den Islam als eine Gesetzesreligion mit absolutem Wahrheitsanspruch charakterisiert, konstatiert nüchtern: „Ein wirklicher Dialog auf Augenhöhe hat eigentlich erst im Zuge der Auseinandersetzungen um die Anschläge vom 11. September 2001 begonnen!“ Das Verhältnis des Hinduismus zu Buddhismus, Islam und Christentum ist, so die beiden Religionswissenschaftler Konrad und Marion Meisig, ebenso durch Phasen der Toleranz wie der Intoleranz gezeichnet, wobei der gegenwärtige fundamentalistische Hinduismus zum Mittel der Gewalt greift.
Der Buddhismus, der nach dem Urteil des Religionswissenschaftlers Manfred Hutter zu Recht als eine tolerante Religion gilt, kennt allerdings auch Phasen der Verfolgung Andersglaubender. Buddhistische Dialogpartner pflegen die bereits von Buddha praktizierte Gesprächsführung, andere Religionen als Umwege zum Heil, zur Beendigung des Kreislaufs der Wiedergeburten im Nirvana, zu begreifen. Menschen müssen ihr eigenes Leben gestalten und deuten, die dargestellten Weltreligionen unterbreiten dazu ein Orientierungsangebot. Was aber ist den so unterschiedlichen Religionen gemeinsam und wie unterscheiden sie sich von einem atheistischen Standpunkt oder einer Glaubensgemeinschaft wie der Scientology-Kirche? Einen philosophischen, im Horizont menschlicher Weltgestaltung verankerten Begriff von Religion entwickeln Schrödter und Ebeling im „Epilog“ des Buches.
Bei aller Unterschiedenheit gemeinsam ist den Weltreligionen, sich zum Leben in Beziehung zu setzen – und so auf Abstand zu gehen. Dabei kann eine Einsicht gewonnen werden, die für jeden gilt: Unser Dasein ist nicht irgendwie, sondern bis in seine Wurzeln, also radikal endlich. Mit dem „Bewusstsein radikaler Endlichkeit menschlicher Existenz“ ist eine erste Bestimmung für denen philosophischen Religionsbegriff gewonnen. Eine zweite ergibt sich daraus, dass wir uns zur Wirklichkeit radikaler Endlichkeit verhalten und damit die Möglichkeit ihrer Überwindung denken können. Wird diese Überwindung nicht als eine reine Möglichkeit, sondern als „reale Überwindung“ gedacht, ist damit eine zweite Bestimmung gewonnen, die in den Weltreligionen unterschiedliche Gestalt gewinnt. Für die radikale Endlichkeit steht im Buddhismus die umfassende Leidhaftigkeit des Lebens, im Christentum die Existenz in Gottesferne; deren reale Überwindung geschieht im Buddhismus durch Erreichen des Nirwanas, im Christentum durch den Eingang in das Reich Gottes.
Vollständig bestimmt wird der Religionsbegriff erst durch zwei weitere Merkmale: Religionen haben stets eine Außenseite, drücken sie sich doch drittens in Symbolen und Riten aus und haben viertens eine soziale und kulturelle Gestalt. Damit ist der Begriffsinhalt von „Religion“ bestimmt: „Religion ist Ausdruck und Erscheinung des Bewusstseins radikaler Endlichkeit der menschlichen Existenz und deren realer Überwindung.“ Dieser Begriff erfasst die „Religion“ in den verschiedenen konkreten Religionen und grenzt sie von nichtreligiösen Weltanschauungen ab: Der Atheismus anerkennt zwar die radikale Endlichkeit, bestreitet aber deren reale Überwindung; Scientology negiert die radikale Endlichkeit menschlicher Existenz und ist deshalb keine Religion im Sinne des hier entwickelten Religionsbegriffs.
Die Weltreligionen sind keine mehr oder weniger exotischen Erscheinungen, sondern geben Orientierung für die Lebensaufgabe unserer Selbstgestaltung. Dies ist der Blick, der die Beiträge der „Handreichung“ gerade auch für den Unterricht so wertvoll macht. Der gedanklich anspruchsvolle, gut verständliche und nur zehnseitige religionsphilosophische Beitrag zum Religionsbegriff ist vorzüglich geeignet, im Philosophie- und Religionsunterricht der Oberstufe zur notwendigen Unterscheidungsschärfe beitragen. Ein rundum empfehlenswertes Buch!
Thomas Menges
Quelle: Eulenfisch Literatur 5 (2012), Heft 1, S. 64-66.