Auslaufmodell Religionsunterricht?

Buchvorstellung - 02.11.2015



Claudia Gärtner
Religionsunterricht – ein Auslaufmodell?
Begründungen und Grundlagen religiöser Bildung in der Schule



(Religionspädagogik in der pluralen Gesellschaft 19)
Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag 2015
260 Seiten m. Abb., 34.90 €
ISBN 978-3-506-78098-0
 

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Dortmunder Religionspädagogin Claudia Gärtner hat eine kluge und gelehrte Einführung in die Religionspädagogik geschrieben, die auch in didaktischer Hinsicht überzeugt. Jedes Thema wird mit einem geschickt gewählten Fallbeispiel erschlossen, von denen nicht wenige sich im Unterricht gewinnbringend einsetzen lassen.
 
In vier großen Kapiteln erläutert Gärtner die gegenwärtigen religionspädagogischen Fragestellungen und erörtert die in der Zunft diskutierten Antworten. Zur Sprache kommen in Anlehnung an Charles Y. Glock zunächst die verschiedenen Dimensionen religiöser Bildung, die gegenwärtig den Kompetenzmodellen für den Religionsunterricht zugrunde liegen. In einem zweiten Kapitel erörtert sie gegenwärtige Herausforderungen des Religionsunterrichts, zu denen etwa der religiöse Pluralismus, die Heterogenität der Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler oder die Anforderungen einer inklusiven Pädagogik gehören. Im dritten Kapitel geht sie den verschiedenen Begründungsmustern für den Religionsunterricht in der Schule nach, die sich in der religionspädagogischen Literatur und in kirchlichen Stellungnahmen identifizieren lassen.
 
Was das Buch auszeichnet, ist weniger die Auswahl der Themen, die wenig Überraschendes bereithält. Interessant ist vielmehr die Perspektive, in der Gärtner die verschiedenen Themen diskutiert. Ihr geht es nämlich vor allem darum, den Eigenwert und die Eigenlogik religiöser Bildung zu betonen. Damit grenzt sie sich gegen einen lange Zeit dominierenden Argumentationstypus ab, der den Religionsunterricht funktionalistisch legitimierte, indem er dessen Beitrag für allgemein pädagogische Ziele herausstrich. Die Stichworte waren und sind hier Wertevermittlung, kulturelle Bildung oder Kontingenzbewältigung. Dass sich der Religionsunterricht so nicht legitimieren lässt, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Seit Jürgen Baumert die Humboldt’sche Unterscheidung verschiedener Weltzugänge wieder in die bildungspolitische Debatte eingebracht hat, steht die Religionspädagogik vor der Aufgabe, das Spezifische des religiösen oder spezifischer noch des christlichen Weltzugangs im Unterschied zum mathematisch-naturwissenschaftlichen oder ästhetischen Weltzugang auszuweisen. Öffentlich legitimieren lässt sich der Religionsunterricht nur, wenn das, was Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht lernen, einen Erkenntnisgewinn bedeutet, den andere Fächer ihnen nicht vermitteln können. Diesen Eigenwert religiöser Bildung stellt Gärtner im vierten Kapitel exemplarisch an einigen gemeinhin als schwierig geltenden Themen wie Rechtfertigung oder Endgericht dar.
 
So gelungen die Beispiele auch sind, die im Einführungskapitel angesprochene „Frage nach der Relevanz religiöser Bildung in postsäkularer Gesellschaft“ ist damit nicht beantwortet. Wie die jüngste Studie von Rudolf Englert zeigt, ist die Frage nach der Alltagsrelevanz des christlichen Glaubens jedoch die Kernfrage der gegenwärtigen Religionsdidaktik, vielleicht sogar der gegenwärtigen Verkündigung überhaupt. Man hätte sich daher gewünscht, dass die Leitperspektive, den Eigenwert und die Eigenlogik religiöser Bildung herauszuarbeiten, stärker noch als kritisches Korrektiv in problemschärfender Absicht umgesetzt worden wäre. Die Urteile der Autorin wären dann nicht ganz so ausgewogen ausgefallen, was für die weitere Debatte eher vorteilhaft wäre.
 
Andreas Verhülsdonk
 
Quelle: www.eulenfisch.de

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