Ewald Kiel/ Guido Pollak
Kritische Situationen im Referendariat bewältigen
Ein Arbeitsbuch für angehende Lehrkräfte
Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2011
272 Seiten, 19.90 €
ISBN 978-3-8252-3544-4
Die vorliegende Publikation hat die Professionalisierung pädagogischen Handelns vor allem in der zweiten Phase der Lehrerausbildung im Blick. Die beiden Autoren begründen die Notwendigkeit dieser Professionalisierung aus der – empirisch belegten – These, dass viele angehende Lehrerkräfte den Übergang von der Universität in die angeleitete Praxis als „Kulturübergang“ erleben, der nicht selten als Praxisschock erlebt wird, in der Regel aber immer mit großer Unsicherheit in der Umsetzung des universitär erworbenen Wissens verknüpft ist.
Dies liege, so Ewald Kiel und Guido Pollak, an den „kulturfremden“ Bedingungen, die die Schule im Gegensatz zur Universität biete, und in denen das erworbene Wissen handlungsleitend werden müsse. Den notwendigen Professionalisierungsschub erhoffen sich die Autoren durch die Technik des Cultural Assimilators, der bereits erfolgreich bei Führungspersonal in der Wirtschaft oder in internationalen Organisationen getestet und angewendet wird. Das Trainingsprogramm adaptieren sie auf Anforderungssituationen im Referendariat und kommen zu sechs Analysebereichen, die unterrichtliche und außerunterrichtliche Situationen im Umfeld Schule zunächst beschreiben und dann bewerten, um daraus Orientierung für angemessene Handlungsoptionen zu gewinnen.
Im Einzelnen geht es um die Interaktionsfelder: Ich-Ich, Ich-Schüler, Schüler-Ich, Ich-Andere, Andere-Ich und Fachwissen-Ich. In diesen Analysebereichen wird eine exemplarische Situation durchgespielt, alle sechs Bereiche werden bei der Lösungsfindung als (gleichberechtigte) Attributionsbereiche berücksichtigt. Bei der Lösungsfindung geht es nicht um „die richtige Lösung“, sondern um Handlungsoptionen und –alternativen in ihren jeweiligen Gelingensbedingungen.
Bei der Genese des Buches und der exemplarischen Situationen wurden Referendare befragt und Experten um Beurteilungen und Lösungsangebote gebeten. Die letztlich ausgewählten Situationen wurden nach der Klassifizierung der KMK-Standards geordnet. Als Resultat liegt ein Übungs- und Arbeitsbuch vor, das nach einer knappen theoretischen Einführung zum Cultural Assimilator und zur professionstheoretischen Einordnung, knapp 40 Fallbeispiele präsentiert, die es wahrzunehmen und selbständig im vorgegebenen Raster zu analysieren gilt, bevor die Expertenlösungen als Angebote mit den eigenen Einschätzungen zu vergleichen und zu reflektieren sind. Die Einteilung unterscheidet die Bereiche Ausbildungssituation, Unterrichten, Erziehen, Beraten, Beurteilen und Innovieren.
Zunächst empfindet man das vorgegebene Raster als starres Analyseinstrument, in das die zu unterscheidenden Interaktionsfelder einzutragen sind. Bald zeigt sich aber, dass gerade die ungeübten Leser – und an die Referendare und Referendarinnen richtet sich ja vorrangig die Publikation – mit einem starren Konzept gut zurechtkommen. Dies liegt zum einen daran, dass es Orientierung und Sicherheit im Analysieren gibt und zum anderen daran, dass die damit zu analysierende Situation mehrperspektivisch betrachtet werden muss, sodass eine Art Vollständigkeit in den möglichen Parametern der Situationsbeschreibung suggeriert wird. Gerade diese Vollständigkeit gibt in einem zweiten Blick ebenfalls Sicherheit, eine adäquate Lösung zu benennen und zu finden.
Im Praxistest in der Arbeit mit Lehramtsanwärtern hat sich gezeigt, dass die ausgewählten Situationen wirklich exemplarisch für die Zeit des Referendariats stehen. Außerdem hat sich das im Buch favorisierte Vorgehen bewährt, zunächst eigene Lösungsideen zu entwickeln. Im Vergleich der eigenen Lösungsansätze mit den Expertenvorschlägen gab es nicht immer Konsens – aber auch das ist ja im Buch intendiert.
Die geschilderten Situationen bieten einen bunten Strauß an möglichen Problemfeldern, sie unterscheiden sich in ihrer Darstellungsart/-form aber mitunter sehr. Bei manchen überwiegen stark emotionale Setzungen, was sicherlich der Situation im Referendariat geschuldet ist und Authentizität erkennen lässt. In einem Arbeits- und Übungsbuch wünschte man sich aber mehr Einheitlichkeit und vor allem eine stärker Kriterien orientierte Schilderung der Fälle. Von hier aus könnte die Reflexion der Lösungsoptionen ein noch größerer Gewinn sein. Trotz dieser Kritik haben sich der Einsatz der Fallbeispiele und deren Analyse mit dem vorgestellten Raster in meiner Seminararbeit bewährt und den immer wieder geforderten Praxisbezug eingelöst.
Frank Wenzel