Tilmann Moser
Von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott
Psychoanalytische Überlegungen zu Religion
Stuttgart: Kreuz-Verlag. 2003
176 S., € 19.90
ISBN 3-7831-2318-6
Dreissig Jahre Beziehungsarbeit mit sich selbst und mit den Patienten führen zu jener Bewegung, die der Titel zutreffend beschreibt. Der erfahrene und kreative Psychoanalytiker, der sich seinerzeit fluchend und anklagend in seiner „Gottesvergiftung“ frei geschrieben hatte von einer leidvollen, destruktiven Religiosität, spürt hier nun der Genese guter&
Vom „Gefühl eines ‚feierlichen‘ Zusammenhangs“ ist die Rede (30), von der „Fähigkeit zur Andacht“, die „eine gewaltige Quelle von Kraft und seelischem Reichtum ist“ (27), „der innere Kapellenraum der Bindung“ (31) wird entdeckt und sozusagen eingerichtet und bewohnbar. Grundsätzliche Überlegungen, erfahrungsgesättigte Zusammenfassungen, therapeutische Gesprächsprotokolle und Erfahrungsberichte machen das stimmig komponierte Bändchen zu einer besonderen Kostbarkeit für alle, die sich mit religiösen Fragen zustimmend oder ablehnend, suchend oder verletzt beschäftigen. Für die einfühlsame und luzide Art, in der Moser die Leidens- und Hoffnungsgeschichten anderer stets mit seinen eigenen in Fühlung hält, legt sich programmatisch das theologische Zentralwort „Mitgeschöpflichkeit“ nahe: eine tiefe Solidarität zwischen Hilfesuchenden und Helfendem, ohne Vernachlässigung der heilsamen Distanz, aber eben mit genauestem Feingefühl und tiefer Mitleidenschaft. Lesend werden wir Zeuge, wie „das Problem der Abgrenzung von spiritueller Begabung, Glauben und neurotischem Elend“ (39) produktiv und heilsam bearbeitet werden kann.
Speziell christlich und theologisch Interessierte sollten dieses kostbare Buch unbedingt meditieren und selbstkritisch fortschreiben. Mosers Überlegungen sind, fernab allen modischen Jargons und aller Aktualitätshascherei, viel „spiritueller“ und „erbaulicher“ als vieles, was als theologische fast-food oder spirituelle Billigware auf dem Markt ist. Die Neuentdeckung von Religion und „guten“, „erträglichen“ Gottesbildern ist spürbar immer noch durchzittert von dem Erfahrungswissen, wie sehr eine bestimmte kirchliche Moral und moralinsaure Gottesrede zu den „größten Seelenverbrechen“ (24) geführt hat und bisweilen wohl immer noch führt. Ohne jede Animosität oder faule Aggressivität äußert Moser doch klar den Wunsch, „die Kirchen mögen Formen finden, sich bei Angehörigen der älteren Generation, die sich ihr Leben durch die Sündentheologie haben verdüstern lassen, so für ihre als unfrohe, eingeengt und einschüchternd aufgenommene Botschaft, das Kak-Angelion, zu entschuldigen, so dass es zu einer späteren Aufhellung der Seele ohne zwingende Abkehr von der Kirche kommt“ (74). Es ist gerade unter theologischen Gesichtspunkten bewegend, lesend z.B. mitzuerleben, wie der Analytiker einem christlich geprägten älteren Patienten hilft, seinen verengten Gottesglauben zu erweitern und heiler, ganzer werden zu lassen. Religionskritik heißt hier nicht Denunzierung der Religion als Zwangsneurose, sondern schöpferische Unterscheidung der Geister – durchaus anschlussfähig für biblische und kirchliche Traditionen guter Gottesrede. Hier wird der Therapeut zum „Träger von heiligen Momenten“ (37), wie es elementar vor allem Mutter und Vater sind bzw. sein sollten. Mosers Buch gehört in die Studierstube aller, die mit Religion und Glaubensvermittlung beruflich zu tun haben; es bietet hervorragende Impulse für Gruppen-, Glaubens- und Gemeindegespräche. Es ist im Schnittfeld von Pastoral, Spiritualität, Theologie und Psychologie eines der wichtigsten und kostbarsten Bücher der letzten Jahre. Nicht zufällig schließt der Band mit einem treffenden, erschütternden „Brief an meinen Feind Augustinus“ – unter der bezeichneten Überschrift „ein schwieriger Patient“.
Als Theologe wünsche ich Tilmann Moser, der zudem glänzend schreiben kann, den Mut und die Kraft, die hier dokumentierten, beispielhaften Gesprächsbemühungen zwischen Theologie und Psychologie/Psychoanalyse, zwischen Therapie und Seelsorge weiter zu führen. Ein äußerlich kleines Buch von unschätzbarem inhaltlichem Gewicht!
Gotthard Fuchs
Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 33 (2004), Heft 1, S. 45f.