Neue Ansätze in der Evolutionsdiskussion

Buchvorstellung - 27.01.2009

Hans-Rudolf Stadelmann
Im Herzen der Materie
Glaube im Zeitalter der Naturwissenschaften

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2004
157 S., EUR 19.90
ISBN 3-534-17440-2

Es ist zweifelsfrei als Desiderat angezeigt: Christlicher Glaube bedarf im Zeitalter der Naturwissenschaften besonderer Vermittlung, hat sich doch das Verhältnis beider im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte als alles andere als entspannt dargestellt. Und wer wäre für einen Entspannung und einen Glaube(n) im Zeitalter der Naturwissenschaften besser geeignet als ein Naturwissenschafter (Atomphysiker) der zugleich evangelischer Theologe ist.

Die auf einem solchen Buch ruhenden Erwartungen sind naturgemäß hoch, mit Blick auf die bereits am Markt etablierten Autoren vor allem aus dem angelsächsischen Kultur- und Sprachraum (Peacocke/ Polkinghorne) noch einmal gesteigert.

In seiner Zielsetzung ist das Buch darauf angelegt, den Jetzt-Menschen ein Gottesbild „herzuleiten“ [67], das gleichermaßen zeitgemäß wie ansprechend sein will [9]. Angesichts der schwindenden gesellschaftlichen Relevanz christlichen Denkens und christlicher Werte, die er nicht zuletzt mit der mangelnden Akzeptanz unseres hergebrachten Gottesbildes in Verbindung bringt, setzt der Autor ausdrücklich auf eine Neudefinition Gottes, „wie dies ja auch schon früher, d.h. vor der Erklärung der Bibel zur einzigen Richtschnur für den Glauben und vor der Dogmatisierung von Glaubensinhalten immer wieder geschehen“ sei [10]. Als entscheidendes Kriterium für das Gelingen oder Scheitern der Unternehmung wird dabei die „Widerspruchsfreiheit“ [145] von Gottes- und Weltbild eingefordert. Dementsprechend konzentrieren sich die ersten Kapitel auf einen Aufweis der Dringlichkeit notwendiger Aktualisierung des Glaubens in der Spannung von Gottesbild und heutigen menschlichen Erfahrungen (Kap. 2), der Interdependenz von Weltbild und Gottesbild in biblischer Zeit (Kap. 3) und der prinzipiellen Möglichkeit eines Wandels im Gottesbild (Kap. 4), der ins Recht gesetzt werde durch Vielfalt und Wandel der biblischen Gottesbilder. Ein Anknüpfen oder zur Sprache bringen dieser biblischen Gottesbilder scheint der Autor weitgehend abzulehnen, seien die biblischen Gottesbilder doch so sehr weltanschaulich gebunden, dass sie „ihre Bedeutung in einem anderen Kontext verfehlen“ würden [34] (Bsp: „König, Vater, Richter, Hirte etc.“ [69]). Damit ist sowohl die Leistung der Exegese auf ihren Platz verwiesen als auch das Potential metaphorischen und symbolischen Denkens konterkariert.

Mit klarem Blick macht sich der Autor ab Kapitel 5 daran, die tragenden Säulen unsres aktuellen Weltbildes in ihrem Konsens herauszuarbeiten. Zu Grunde gelegt wird dabei die evolutionäre Betrachtungsweise, deren Dominanz Stadelmann in den Bereichen Kosmologie, Anthropisches Prinzip, Biologie und schließlich auch der Evolution des Geistes respektive der Kultur übersichtlich werden lässt. Spätestens mit der Evolution des Geistes kristallisiert sich heraus, dass neben dem Prinzip von „trial and error“ noch ein weiteres Prinzip anzunehmen ist: „Die Evolution kann nichts hervorbringen, was nicht schon von allem Anfang in der Welt, sei es in Naturgesetzen oder in besonderen Eigenschaften der Energie/Materie oder des unmittelbaren Umfelds, zumindest als Potentialität vorhanden gewesen wäre.“[54] Das Prinzip, das spätestens am/im Hirn sich bricht, ist ein „geistiges Prinzip“ [55] – genannt: „kosmischer Geist“ [passim]. Den Evolutionsprozess wertet Stadelmann dabei als ein Selbstverwirklichungs- bzw. Inkarnationsgeschehen [69] des kosmischen Geistes. Auf einer niedrigen Stufe wirke der kosmische Geist gewissermaßen die evolutiven Prozesse kreativ begleitend; im Sinne der Neuro-Evolution, insbesondere beim Mensch schließlich, komme das Universum zu der Fähigkeit, „über sich selbst zu reflektieren“. [62] In den kosmologischen Anfang verlagert und der Materie dialektisch drängt der kosmische Geist gewissermaßen auch zu einer „monistischen“ Lösung des Problems um das „Verhältnis von Geist und Materie“ [Kursivierung im Original, 58].

Mit dem sechsten Kapitel beginnt der Autor schließlich Weltbild und Theologie ineinander zu arbeiten: In prononcierter Absetzung vom Offenbarungsdenken der Dialektischen Theologie Barthscher Prägung und der gleichzeitigen Betonung der auch erkenntnistheoretisch gültigen monistischen Einheit von Geist und Materie/Energie setzt er die „Natürliche Theologie“ in den leistungsfähigen Stand der Gotteserkenntnis (auch Kap. 7). Damit schreibt Stadelmann eine doppelte Erkenntnisordnung verbindlich fest: Gotteserkenntnis auf wissenschaftlichem und intuitiv-mystischem Wege seien einander komplementär, da sie letztlich „dieselbe Realität und damit denselben Geist“ enthüllten. [67] Indem auf diese Weise die „Extrapolationen“ [74] für das Gottesbild über das Prinzip „Weltgeist“ [65f.; 138] inauguriert werden, hat sich letzteres in seinen Grundbestandteilen lange genug angekündigt und konsequent vorbereitet: Der Autor plädiert für einen panentheistischen [73] Gott, der einerseits zwar immer noch als der Welt transzendent, andererseits aber auch derart immanent zu denken sei, dass er sich als kreative Potentialität in der Welt zunehmend konkretisiere und dabei gleichzeitig als „werdender Gott“ [80; 93] selbst evolviere. Zur Etablierung dieses evolutionären Paradigmas setzt der Autor nun nicht allein auf die Marginalisierung von Anthropomorphismen, sondern auch auf ein gründliche Entmythologisierung. In die Liste des Mythologischen und Unzeitgemäßen gehören demnach das „mythologische Bild eines dreieinigen Gottes (Trinität)“ [94 u.ö.], mit Einschränkung auch das Personsein Gottes [97f.] und ganz unzweifelhaft der „Christusmythos“ [118] (Kap. 10) nebst seiner Mythologisierung in patristischer Zeit. An seine Stelle tritt im Einklang mit dem neuen Weltbild die „Mutationsmetaphorik“, wonach Jesus ein besonders an die zentrale Wirklichkeit Gott angepasster Evolutionsschritt [121] bzw. „Anpassungsstruktur“ [123] oder „Quantensprung“ darstelle. In ähnlicher Lesart werden weitere christliche Glaubensbestände durchmustert und aktualisiert (Kap. 11). Eine Applikation auf den Lebenssinn und die Ethik (Kap. 9), sowie die abschließende Schlussbetrachtung (Kap. 12) lassen die Ausführungen des Autors insgesamt als rund und in sich geschlossen erscheinen.

Die Stärken des Buches liegen in der allgemeinverständlichen und guten Darstellungsfähigkeit komplexer naturwissenschaftlicher Sachverhalte, dem Bewusstsein für die Dringlichkeit von denkbaren Gottesbildern, dem klaren Blick für die andernfalls gegebene Gefahr des Abgleitens in Fundamentalismen und das konsequente Auslegen und Ringen um „Glaubwürdigkeit beim ‚Mann und der Frau auf der Straße’“ [145]. Es muss jedoch auch gesehen werden, dass der vornehmliche und erste Sitz im Leben von Gottesbildern der bestimmte kultische und metaphorische Kontext einer religiösen Glaubensgemeinschaft ist und Gottesbilder daher den Reflex einer ebenfalls bestimmten Pragmatik und Semantik religiösen Sprachgebrauches darstellen. Hier gilt es die jeweiligen Regeln einzuhalten und nicht zwei Bildebenen, das die Alterität Gottes schützende Gottesbild und das die erfahrungswissenschaftlichen und lebensalltäglichen Plausibilitäten unserer Lebenswelt bildende Weltbild zu einem Höchstmaß an Deckungsgleichheit zu bringen. Weiterhin sollte beachtet werden, dass Gottesbilder nicht allein in diachroner Abfolge existieren, sondern durchaus synchron nebeneinander bestehen. Die Pluralität synchron vorhandener Gottesbilder entspricht dabei gerade dem Symbol- und Bildcharakter religiösen Denkens. Die Reduzierung auf lediglich ein einziges gültiges Gottesbild lässt schließlich die Frage wach werden, wie sinnvoll es wohl sein kann, Gottesbilder gegeneinander auszuspielen oder mit dem Stigma „Mythos“ schlechterdings auszumustern, wie im Falle der Trinitätstheologie geschehen. Hier hätte es sich als wegweisende Form der Aktualisierung im Gottesbild ausgewirkt, den philosophischen Gehalt trinitarischen Denkens, die trinitarische Ontologie, zu heben und gerade einmal in entgegengesetzter Richtung den Naturprozess vom dynamischen Gottesbild her zu bebildern.

Das vorliegende Buch markiert eine ganze Reihe von Trends, mit denen man sich zukünftig verstärkt beschäftigen wird: Evolutionäre Erkenntnistheorie, das wiedererwachte Interesse am Monismus, der Panentheismus, das Betreiben von Metaphysik ohne Metaphysik und dergleichen mehr. Insofern bietet es einen guten Einstieg in die Thematik, die theologischen Inhalte sind – nicht zuletzt durch den Mangel an erkenntnistheoretischer Sensibilität – kritisch zu wägen und keineswegs unwidersprochen.

Mathias Werner

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 33 (2004), Heft 2, S. 109f.

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