Bestärkung des Kindes

Buchvorstellung - 26.02.2009

Janusz Korczak
Das Recht des Kindes auf Achtung und Fröhliche Pädagogik
(GTB 940)

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2002
159 S., € 9.90
ISBN 3-579-00940-0

„Lasst uns Achtung haben, wenn nicht Demut, vor der hellen, klaren, unbefleckten, heiligen Kindheit“ (S. 44), schreibt Korczak als Schlusssatz seiner Gedanken zu „Das Recht des Kindes auf Achtung“. Beim Lesen dieses Wortes, fällt mir spontan die folgende Begebenheit ein: Während Jesus „seine Jünger ... (lehrte)“ (Mk 9,31), „stellte (er) ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf“ (Mk 9,36-37). Den Jüngern, lebenserfahrenen und reifen Männern, die miteinander darüber sprachen, „wer von ihnen der Größte sei“ (Mk 9,34), antwortete Jesus mit einer symbolischen Geste: Der Größte ist der Kleinste, der wahre Erwachsene im Himmelreich ist das Kind. Nicht die Kinder sollen werden wie die Erwachsenen, sondern die Erwachsenen wie die Kinder.

Wenn auch einerseits bei den Griechen und Römern kranke, verkrüppelte Kinder oder unerwünschte Mädchen erbarmungslos ausgesetzt oder getötet wurden (vgl. S. 28), so fanden andererseits die Kleinen als Symbol von Schönheit und göttlicher Präsenz eine hohe Idealisierung: „Maxima debetur puero reverentia“ (dem Kind gebührt höchste Achtung), sagte Juvenal (60-140 n. Christus).

Kinder brauchen Bezugspersonen, die emotionale Wärme und Geborgenheit schenken. Janusz Korczak – Arzt, Pädagoge, Kinderfreund – erkannte: Das Kind sucht Wegbahner, Menschen, die die Wirklichkeit der Welt nicht überspringen, der Härte des Lebens nicht ausweichen. Die Fruchtbarkeit dieser Erfahrung spiegelt sich in dem Bemühen, die Vielgliederigkeit und den Beziehungsreichtum, die Verwobenheit aber auch die Eigenständigkeit des geheimnisvollen Wachsens des Kindes anzuerkennen. Für ihn ist Erziehung ein begrenzt planbares Geschehen; es kennzeichnet sich – an Autorität zwar gebunden – immer als eine von Liebe getragene Praxis.

In dem gerafften Abriss von 36 Seiten kündigt sich die Weite des Horizonts, die Tiefe der Einsicht in das Pädagogisch–Eigentliche, die Vielfarbigkeit von Welt, Kind und Erziehung an. Eine vorurteilslose Hinwendung und Offenheit zum Kind charakterisieren die Einstellung und Leitlinie Korczaks. In der spannungsvollen Einheit von Reflexion und Engagement (wieder)entdeckt der aufmerksame Leser manches verkümmerte Problembewusstsein, verschiedene vergessene oder gar verdrängte Wahrheiten als unerlässliche Wege, um die Vieldimensionalität kindlicher Erziehung verstehen und fördern zu können. Die kindliche Erziehung ist für ihn gebunden an „(d)as Recht des Kindes auf Achtung“; auf diese Weise soll es zu einem geglückten Menschsein entwickelt, ermutigt und ermächtigt werden. „Eine neue Generation wächst heran, eine neue Welle erhebt sich. Sie kommen mit ihren Fehlern und Vorzügen; schafft ihnen Bedingungen, unter denen sie besser aufwachsen können“ (S. 43).

Dem Gütersloher Verlagshaus gebührt Dank, dass es in demselben Band, auch die „Fröhliche Pädagogik“ veröffentlicht. Die Untertitel „Meine Ferien“ und „Radioplaudereien des Alten Doktors“ (S. 45) kennzeichnen die leichte, aber ernstzunehmende Art, unterschiedliche Erziehungssituationen zu beschreiben und allgemeingültige Erkenntnisse neu zu erhellen. Jedes Verstehen von Erziehung ist gebunden an ein Verstehen des Kindes in einer bestimmten Situation. Der kindliche Mensch reift als Individualität, geprägt durch Anlage und Umwelt. Erziehung als Hilfe zum vollen Menschwerden und Bildung als Frucht der Erziehung vollziehen sich in der Achtung des kindlichen Menschen. „Wann wird jener Moment der Freimütigkeit eintreten, da das Leben der Erwachsenen und das der Kinder gleichwertig nebeneinander stehen werden?“ (S. 100). Janusz Korczak kennt die Vielfarbigkeit der Wirklichkeit, die sich ihm über eine Vielfalt von Zugangsweisen erschließt.

Da das Kind als Dasein stets mit anderem Dasein lebt, nimmt die Erziehung die Gestalt eines Einordnungsprozesses in die gesellschaftlichen Formen und Strukturen, Gruppen und Institutionen an. Korczaks „Fröhliche Pädagogik“ macht vertraut mit Spielregeln und Gesetzen, mit Sitte und Brauchtum, verknüpft zugleich den Willen zur Anpassung mit dem Mut zum Widerstand und vermittelt sachliches Handeln mit gleichzeitigem Schärfen des Unterscheidungsvermögens. Bewusst wird das Kind bestärkt in seinem ursprünglichen Wissenwollen, aber auch der Sinn des Scheiterns bleibt im Blickfeld.

Mit diesen ausgewählten Aspekten ist gleichsam das offene Koordinatensystem angedeutet, das Janusz Korczaks Pädagogik kennzeichnet. Die recht unterschiedlichen Aussagen schließen sich nicht zu einem runden Gesamtbild. Diese heilsame Einsicht lässt auf dem unabschließbaren Weg unentwegten Fragens, Denkens und Handelns mutig und zuversichtlich weitergehen.

Dietmar Höffe

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 33 (2004), Heft 3, S. 186f.

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