Herbert Böttcher provoziert in diesem Buch eine Kirche, die sich den kapitalistischen Fetischverhältnissen dienstbar macht.
Herbert Böttcher
Auf dem Weg zu einer unternehmerischen Kirche
Würzburg (echter) 2022
Paperback 214 Seiten
ISBN 978-3-429-05807-4
16,90 €
Herbert Böttcher hat seine Arbeit als Pastoralrefent in der Diözese Trier aufgegeben, um sich im Verein Ökumenisches Netz Rhein Mosel Saar zu engagieren. Als einer der engagiertesten Autoren schreibt er für die Theoriezeitschrift exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft.
In seinem Buch, das durchweg auf sehr abstraktem Niveau argumentiert und seine Begriffe weder definiert noch an konkreten Daten belegt, erkenne ich drei Gedankenstränge, die in wiederholten Anläufen vorgetragen werden:
Kritik an einer marktgängigen Kirche
Die titelgebende Vorstellung einer unternehmerischen Kirche sieht Böttcher sehr kritisch. Weil ihr Rückhalt in der Gesellschaft schwindet, nimmt die Kirche von der Systemtheorie inspirierte Unternehmensberatung in Anspruch, um ihre Chancen auf dem offenen Markt der Weltanschauungen zu verbessern. Dazu muss sie sich der Herausforderung stellen, das sich selbst optimierende Ich für die kapitalistischen Fetischverhältnisse fit zu machen. Sie bietet also inhaltsleere Esoterik an, orientiert sich an Konzepten wie Identität und Achtsamkeit, und stets droht die Gefahr, in Fundamentalismen abzurutschen. Böttcher spricht von Kirchennarzissmus, weil es - wie bei der Vertuschung des Missbrauchs - zuerst einmal darum geht, dass die Kirche gut dasteht. Wenn die Kirche dergestalt marktkonform agiert, verbindet sie die Rede von Gott mit der Affirmation von Moderne und Fortschritt, und der Gottesbegriff wird konturlos.
Die Autorität der Leidenden
Aber die Kirche ist kein Selbstzweck, sondern ihr Auftrag besteht in der memoria passionis, eine Tradition, die Herrschaft nicht legitimiert, sondern kritisiert, indem sie der Autorität der Leidenden zu ihrem Recht verhilft. Das bedeutet heute eine samaritanische Praxis und die Kritik des Krisenkapitalismus. Als eines der wenigen Beispiele kommt die Pandemie vor, von der Böttcher behauptet, sie sei hervorgegangen aus globalen kapitalistischen Verhältnissen. Da die moderne Demokratie nicht ohne Bindung an die kapitalistische Gesellschaft zu haben ist, übt Böttcher Kritik an der Legitimation durch Verfahren, die einen Wahrheitsanspruch nicht absichern können. Er geht von einem herrschaftskritischen Grundimpetus des ersten Testamentes aus und sieht auch mit Berufung auf Joh 14,27 den Frieden Christi im Gegensatz zum Frieden der Welt.
Herrschaftskritik
Die momentanen Reformbemühungen innerhalb der Kirche, etwa der synodale Weg, reichen in seiner Sicht nicht aus. Auch wenn das kirchliche Amt, dessen Strukturen von der griechisch-römischen Welt geprägt sind, allen geöffnet wird, bleibt es doch ein Verhältnis von Über- und Unterordnung. Demokratischen Aushandlungsprozessen entziehen sich die Inhalte des Gedächtnisses, sodass sich die Aufgabe des kirchlichen Amts nicht aus der Delegation der Gemeinde ableiten lässt, sondern alleine daraus, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt und Wege der Rettung und Befreiung unter heutigen Verhältnissen angetreten werden.
Stellungnahme
Meines Erachtens stehen da eine ganze Reihe unbeachtete Elefanten im Theoriemuseum. Was mich am meisten zum Widerspruch reizt, ist das Beiseiteschieben demokratischer Verfahren. Die Alternative zur Legitimation durch Verfahren ist die Legitimation durch Willkür, absolutistische Verhältnisse, nach denen sich viele sehnen. Für die Kirche wünsche ich mir eine Machtumverteilung zugunsten bestehender Strukturen der demokratischen Teilhabe und verspreche mir davon mehr Aufmerksamkeit für die konkrete Not, ob sie nun durch die Warengesellschaft verursacht ist oder schlicht durch die Natur des Menschen als „Geist in Welt“. Ob das der Kirche Erfolge auf dem „Markt“ bringt, hängt nach meiner Überzeugung von etwas ab, das im Buch gar nicht vorkommt: Der Ökonomie der Aufmerksamkeit.
Für den Religionsunterricht der Qualifikationsphase lassen sich aus dem Buch jedenfalls Texte ausschneiden, die zumindest als Provokation funktionieren.
Eine Rezension von Karl Vörckel