Gottfried Böhme
Helden wohnen nebenan
Lernen an fremden Biogafien
Matthias Grünewald Verlag
Ostfildern 2020
ISBN 978-3-7867-3177-1
272 Seiten, 28,00 €
Fragt man junge Menschen nach ihren Vorbildern, so sind die Antworten seit Jahren stabil: Es sind Eltern, andere Familienangehörige, Menschen in ihrer Umgebung – ganz normale Menschen eben, keine Promis oder Heilige. Fragt man weiter, warum dieser oder jener „Normalo“ das Vorbild ist, nennen die jungen Menschen keine spektakulären Taten aber „stille Heldentaten“. Diese Helden handeln da, wo es Not tut. Das sind Menschen, die in der Nachbarschaft helfen, die Besuchsdienst leisten, die bei den Tafeln helfen, sich bei der Hausaufgabenhilfe engagieren, in der Flüchtlingshilfe mitarbeiten, schlicht, Menschen, die den gesellschaftlichen Kitt bilden.
Helden der Unscheinbarkeit
Wie sähe unsere Gesellschaft aus ohne diese vielen „Heiligen der Unscheinbarkeit“ wie sie Romano Guardini nannte? Unter ihnen sind auch Menschen, die Unpopuläres tun, so wie der Fußballspieler, der aus Fairness ein Eigentor schoss, weil ein Mannschaftskamerad gegen die Fairness gehandelt hatte. Eine Tat, die durchaus kontrovers diskutiert werden kann. Ein_e Held_in zu sein, kann eben auch bedeuten, gegen Erwartungen zu verstoßen oder auch allein gegen andere zu stehen. Diese nahbaren Helden sind dem Erfahrungs- und Erlebenshorizont der Kinder und Jugendlichen näher als viele Heilige, deren übermächtige Schatten eher einschüchtern dürften. Im Buch erzählen die Menschen, warum sie sich engagieren, welche Erfahrungen sie gemacht haben und erzählen auch davon, welchen persönlichen Gewinn (keinen finanziellen!) sie aus ihrem Handeln gezogen haben.
Mutmachgeschichten der Realität
Die Beispiele stehen im zweiten, umfangreichsten Teil des Buches. Sie sind thematisch geordnet nach Stichworten wie „Armut lindern im eigenen Land“, „Handicaps aushebeln“ oder „Zivilcouragiert handeln“. Hilfreich für die (Unterrichts-) Praxis ist, dass zu jedem Stichwort eine kurze Einführung erfolgt, dann konkrete Portraits, Praxisanregungen sowie beispielsweise Projektideen oder auch weiterführende Literatur. Wichtig ist Mendl, keine moralinsauren Geschichten vorzustellen. Ihm geht es um Beispiele, die zur Auseinandersetzung anregen, die auch Mutmachgeschichten sind, die möglicherweise anregen, sich selbst zu engagieren. Damit werden die Geschichten quasi mögliche Blaupausen dafür, wie jede_r Einzelne ein an christlichen Werten ausgerichtetes Leben in kleinen Schritten umsetzen kann (nicht muss!) und auf diese Weise mitwirkt an einer gerechteren Welt.
Etwas Theorie vorab
Im ersten Teil, der „Was zu klären wäre“ übertitelt ist, gibt Mendl eine gut lesbare Einführung in die Thematik anhand von Fragen wie: Sind wir Ichlinge? Ist Altruismus angeboren? Braucht unsere Gesellschaft Helden? Warum handeln Menschen altruistisch? Welche Merkmale zeichnen Helden aus? Im dritten Teil setzt Mendl sich kritisch mit den Rollen von Heiligenviten und denen von Local Heroes, den Alltagshelden, für die Werteerziehung auseinander. Der moralinsaure Umgang mit Heiligenviten und Vorbildern führte nahezu zum Verschwinden aus der (Unterrichts-)Praxis. Bei Siegfried Lenz, den Mendl zitiert, liest sich das so: „… versucht werde, jungen Leuten einen Minderwertigkeitskomplex beizubringen, indem man sie zwingt, vor erdrückenden Denkmälern zu leben.“ Mendl zeigt mit seinem Ansatz aber auf, dass und wie wichtig für junge Menschen die Rolle von „nahbaren“ Vorbildern ist. Dabei weitet Mendl letztlich den Blick darauf, dass sich nahezu jeder Mensch, ob als Heilige_r, Vorbild, Held_in oder Idol zum orientierenden Lernen eignet. Es geht schließlich nicht um die Auseinandersetzung mit perfekten Vorbildern. Das kann junge Menschen nur entmutigen. Die Auseinandersetzung mit Schwächen oder dunklen Seiten, die alle (!) Menschen haben, also auch Stars, Heiligen u.a. macht sie nahbar und kann gerade deshalb junge - unperfekte - Menschen zum Handeln ermutigen.
Eine „Helden Datenbank“ für alle
Abschließend sei auf die ständig wachsende Datenbank „Local Heroes“ hingewiesen, in die Hans Mendl und seine Mitarbeiter_innen seit rund zehn Jahren Berichte und Geschichte über „normale Helden“ einstellen. Sie freuen sich, wenn diese genutzt wird, zur Eigenrecherche anregt und mit weiteren Geschichten erweitert wird: www.ktf.uni-passau.de/local-heroes/index.htm.
Der bunte Strauß an Beispielen, Anregungen und Tipps dürfte für viele Pädagogen_innen gewinnbringend für Unterricht, Gemeinde oder für andere Lernorte sein.
SiKe