Georg Langenhorst
Literarische Texte im Religionsunterricht
Ein Handbuch für die Praxis
Freiburg u.a.: Verlag Herder. 2011
295 Seiten 19,95 €
ISBN 987-3-451-31727-9
Ein zwar zaghaftes, aber durchaus wahrnehmbares Comeback lässt sich auf dem deutschen Büchermarkt beobachten: Seit etwa 20 Jahren erscheinen literarische Werke, die sich aus einer Haltung „nachkritisch neuer Offenheit“ mit religiösen Fragestellungen und der Gottesfrage beschäftigen. Das Anliegen Georg Langenhorsts ist es, diese Werke für das religiöse Lernen fruchtbar zu machen.
Der mit dem Aufkommen der Korrelationsdidaktik selbstverständlich gewordene Einsatz von (nicht nur gut gemeinter katechetischer, sondern) autonomer Literatur im Religionsunterricht kann durchaus im Sinne einer Selbstvergewisserung kritisch hinterfragt werden: Wird nicht die für den Religionsunterricht wesentliche Differenz zwischen „sakralen“ und „profanen“ Texten eingeebnet? Werden literarische Texte nicht funktionalisiert und – die ästhetische Gestalt ignorierend – auf ihre bloße Aussage reduziert? Sollte ihre Analyse nicht besser dem Deutschunterricht überlassen werden? Welchen didaktischen Gewinn verspricht eigentlich der Einsatz von Literatur im Religionsunterricht? In seinem „Handbuch für die Praxis“ stellt sich der Verfasser diesen Anfragen.
Sein nachdrücklicher Appell zur Nutzung literarischer Texte will keinesfalls der Bibel und den Texten der kirchlichen Tradition ihren Vorrang streitig machen. Lediglich im didaktisch und methodisch gut begründeten Einzelfall soll ein literarisches Werk in den Mittelpunkt des Lernprozesses rücken.
Ein Leser liest ein Buch, weil es ihm Freude macht. Wenn es zum Gegenstand von Unterricht gemacht wird, dann wird es stets unter didaktischen Auspizien traktiert – was gerade für die Textanalyse im Deutschunterricht gilt! Wenn aber eine Lehrkraft darüber Rechenschaft gibt, im Kontext des Religionsunterrichts mit einem literarischen Text unter einer bestimmten Fragestellung und unter Berücksichtigung seiner literarischen Form zu arbeiten, wird, so Langenhorts Überzeugung, der Einwand des Funktionalismus hinfällig. Und weil sich der Religionsunterricht nicht zum verlängerten Deutschunterricht machen sollte, schlägt der Verfasser vor, das Augenmerk weniger auf die Textanalyse zu legen, sondern eher handlungs- und produktionsorientierte Methoden zur „ganzheitlichen“ Erschließung zu nutzen.
Literarische Texte können dann religiöse Lernprozesse anregen, wenn den in ihnen enthaltenen Bezügen auf biblische Figuren und Themen oder auf Texte der religiösen Tradition nachgespürt wird (Textspiegelung). Damit wird natürlich auch die Sensibilität für die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten geschult (Sprachsensibilisierung). Probeweise können Schülerinnen und Schüler die Welt aus der Perspektive fiktiver Personen betrachten (Erfahrungserweiterung). Auf diese Weise wird die Vielschichtigkeit von Wirklichkeit erlebbar (Wirklichkeitserschließung) und die Fähigkeit gefördert, die vorgegebene Realität neu zu sehen, ja zu transzendieren (Möglichkeitsandeutung).
Im umfangreichen zweiten Teil seines „Handbuchs“ stellt Langenhorst 30 literarische Texte, darunter sind 12 Gedichte, überwiegend aus der deutschsprachigen Literatur, vor; 18 Werke sind nach dem Jahr 2000 erschienen. Der Verfasser stellt zunächst die Autorin/den Autor vor; dann wird der abgedruckte Text(auszug) interpretiert und abschließend eine Fülle methodischer Anregungen für den Unterricht gegeben. Nicht ganz überzeugt hat mich die Einteilung in die sechs Rubriken Biblische Botschaft, Christlicher Glaube und christliche Weltdeutung, Christliche Spiritualität, Kirchliches Leben verstehen, Ethik und Lebensbewältigung sowie Interkulturalität und Interreligiosität. Hier wäre eine Orientierung an den sechs Gegenstandsbereichen der „Kirchlichen Richtlinien zu Bildungsstandards“ (2004) hilfreicher gewesen. Und natürlich kann man sich darüber streiten, ob das eine oder andere Werk nicht besser in eine andere Rubrik gepasst hätte.Wer indes nach neuen und unverbrauchten literarischen Texten für den Religionsunterricht Ausschau hält – und nach Tipps für die eigene Lektüre sucht –, der wird mit dem „Handbuch“ bestens bedient und wird viele Neuentdeckungen machen!
Dieses Urteil gilt auch für das Nachschlagewerk „Gestatten: Gott!“, einer von Langenhorst herausgegebenen Aufsatzsammlung, die den Themen Religion und Gott im Kinder- und Jugendbuch seit den 1980er Jahren nachspürt und sie an eindrücklichen Werken exemplifiziert. Grundsätzliche Probleme wie etwa die einer kindgerechten Darstellung des sich offenbarenden und entziehenden Gottes in Wort und Bild werden diskutiert. Dabei fällt auf, dass die Gottesfrage stets im Zusammenhang von Krisensituationen zur Sprache kommt und um tragfähige Lebensorientierungen gerungen wird. Eine eigenartige Rolle spielt das Judentum auf dem deutschen Büchermarkt: Es sind nicht-jüdische Autoren, die einen in der eigenen Religion nicht verwurzelten jüdischen Protagonisten ihren nicht-jüdischen Lesern präsentieren; eine selbstverständliche Darstellung jüdischen Lebens hingegen kommt so gut wie nicht vor.
Die Literaturwissenschaft, die Religionspädagogik und die Religionslehrkräfte fordert Langenhorst dazu auf, sich ernsthaft mit der religiösen Dimension in Kinder- und Jugendbüchern, selbstverständlich auch in Büchern für Erwachsene auseinanderzusetzen. Dazu geben seine beiden Bücher vorzügliche Anstöße.
Thomas Menges
In der vorliegenden Rezension ist auch der folgende Titel besprochen:
Georg Langenhorst (Hg.)
Gestatten: Gott!
Religion in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart
München: Verlag Sankt Michaelisbund. 2011
224 Seiten 12,90 €
ISBN 978-3-939905-82-0
Quelle: Eulenfisch Literatur 4 (2011), Heft 2, S. 52f.