Jacob Neusner
Ein Rabbi spricht mit Jesus
Freiburg/Br.: Herder Neuaufl. 2007.
173 Seiten, 16,90€.
ISBN 978-3-451-29583-6
Das im Jahre 1993 erschienene Buch „A Rabbi Talks with Jesus“ des jüdischen Religionswissenschaftlers, Judaisten und Rabbiners Jacob Neusner spielt im Jesus- Buch des Papstes eine wichtige Rolle. Wohl deshalb ist das erstmals 1997 in deutscher Übersetzung erschienene Buch nun neu aufgelegt worden. Das fiktive Gespräch, das Neusner als gläubiger Jude darin mit Jesus führt, „hat mir“, so bekennt der Papst, „mehr als andere Auslegungen, die ich kenne, die Augen geöffnet für die Größe von Jesu Wort und für die Entscheidung, vor die uns das Evangelium stellt“ (Jesus von Nazareth, 99).
Neusner begibt sich in seinem Buch unter die Zuhörer Jesu. Er tritt in einen fiktiven Dialog ein mit dem Jesus des Matthäusevangeliums, vor allem dem der Bergpredigt. Beim Jesus des Matthäusevangeliums, so Neusner, sei eine gemeinsame Grundlage für ein Streitgespräch gegeben: die Tora, von beiden Seiten akzeptierte „einzige Quelle der Wahrheit“ (26). Das, was Jesus sagt, und die Art und Weise, in der er es tut, sind Neusner durchaus vertraut. Jesus greift das Erbe vom Sinai auf und gibt es weiter. Dabei erwartet Neusner „auch von Jesus nicht nur eine Wiederholung oder Paraphrase der Heiligen Schrift, sondern etwas Neues, das doch ganz und gar zu der überlieferten – und jetzt weitergereichten – Thora gehört“ (38). Für Neusner ist es keine Frage: Die Aussagen Jesu in der Bergpredigt „weisen in das Zentrum, das Herz der Thora-Botschaft“ (39). Doch nach längerem Zuhören kommen Neusner Zweifel: „Nicht so sehr die Botschaft macht mir Sorgen ..., sondern der Überbringer der Botschaft. Und zwar aus dem Grund, daß die Form der Aussage einen Missklang erzeugt ... Am Sinai sprach Gott durch Mose. Auf dem galiläischen Hügel spricht Jesus für sich selbst ... Nach den Kriterien der Thora hat Jesus etwas beansprucht, das außer Gott niemandem zusteht“ (47-49). Wäre ich ihm damals gefolgt, so Neusner, dann hätte ich Gott verlassen (52). Neusner sieht in den Augen Benedikts in aller Klarheit, „daß das, was Jesus von mir fordert, allein Gott von mir verlangen kann“ (70). Nach Ansicht des Papstes jedoch darf Jesus es, weil er „auf der Höhe Gottes“ steht (Jesus von Nazareth, 134). Vor diesem Hintergrund kann das Jesus-Buch des Papstes als der Versuch angesehen werden, zu zeigen, dass derjenige, der Jesus folgt, Gott nicht verlässt.
Nachdem die entscheidende Differenz benannt ist, bringt Neusner eine Reihe von Einwänden vor gegen das, was Jesus gelehrt hat. Der Papst nimmt die Einwände sehr ernst, und das erklärt das jüdische Profil, das „sein“ Jesus (vgl. 22) dabei gewinnt. Ähnlich wie bei Neusner, so steht auch bei Benedikt die Lehre Jesu im Zentrum des Interesses. Vor dem Hintergrund der Kritik Neusners, Jesus vernachlässige das Gegenwärtige, das „Hier und Jetzt“ (vgl. 154) der Gottesherrschaft, betont der Papst das Präsentische der Basileia-Verkündigung Jesu. Im Hinblick auf Neusners Kritik, Jesu Ruf richte sich vorwiegend an Einzelne, seine Relativierung von Sabbat- und Elterngebot und sein Unverständnis gegenüber der in der biblischen Tradition verwurzelten „Heiligung des Alltags“ zerstöre die Sozialordnung Israels, weist der Papst auf die neue, universale Familie hin, die Jesus gegründet habe (vgl. 155). Ferner scheint der Papst aus dem Gespräch mit Neusner klar erkannt zu haben, dass man den überaus ernst zu nehmenden Anfragen und Einwänden von jüdischer Seite nicht dadurch gerecht wird, dass man die Christologie herunterfährt. So wird die im Jesus-Buch deutlich erkennbare Tendenz, zu zeigen, dass, wenn Jesus von Gott und seiner Herrschaft spricht, er in gewisser Weise immer auch von sich spricht, verständlich – die stark herausgestellte christologische Dimension der Gottes-Reich-Verkündigung Jesu: Jesus – die autobasileia (Origenes), die Gegenwart Gottes in Person (79), der die Tora nicht aufhebt, sondern erfüllt (133), der „zu seinem Volk, zu Israel, als dem Erstträger der Verheißung“ spricht, ihm aber zugleich die neue Tora übergibt und es öffnet, „so dass nun aus Israel und den Völkern eine neue große Gottesfamilie entstehen kann“ (132) – diese Akzentuierungen dürften sich vor allem dem Gespräch verdanken, das der Papst mit dem Rabbi und dieser mit Jesus führt.
Ludger Schwienhorst-Schönberger (2007)
Quelle: Katholisches Bibelwerk e.V. Stuttgart, Biblische Bücherschau 2008.