Zeigt das Turiner Grabtuch ein Portät Jesu?

Buchvorstellung - 27.03.2011

Bernd Kollmann
Das Grabtuch von Turin
Ein Porträt Jesu? Mythen und Fakten
Herder Spektrum; Bd. 6216

Freiburg u.a.: Verlag Herder. 2010
96 Seiten, m. Abb., 8,95 Euro
ISBN 978-3-451-06216-2

Die Urteile über das Grabtuch von Turin und seine Echtheit sind vorsichtiger geworden. Selbst die Illustrierte „stern“ traute sich nicht die auf der Titelseite der Osterausgabe 2010 gestellte Frage „Ist das Jesus?“ mit einem glatten Nein zu beantworten.

Dem mit vielen Indizien untermauerten gläubigen Ja des Journalisten Paul Badde kann sich allerdings weder der „stern“ noch der evangelische Neutestamentler Bernd Kollmann vorbehaltlos anschließen. Die öffentliche Zeigung des Grabtuchs im Frühjahr 2010 ist jedoch Anlass genug, noch einmal die Geschichte der wohl berühmtesten Reliquie der Christenheit durchzugehen. 1357 und 1389 wurde das Grabtuch in der kleinen Gemeinde Lirey in der Champagne das erste Mal gezeigt. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts im Besitz der Herzöge von Savoyen, war das Tuch zunächst in Chambéry, später in Turin regelmäßig Gegenstand öffentlicher Verehrung. Als 1898 die ersten Fotos angefertigt worden waren, steigerte sich das Interesse.

Immer bessere Fotoaufnahmen wurden durch Gewebeuntersuchungen ergänzt. Die 1988 durchgeführte Untersuchung der durch testamentarische Verfügung 1983 in den Besitz des Heiligen Stuhls übergegangenen Reliquie mit Hilfe der Radiokarbonmethode ergab die Datierung der Entstehung auf den Zeitraum zwischen 1260 und 1390. Obwohl die Kirche damals das Ergebnis akzeptierte, wurden schnell Zweifel an dessen Zuverlässigkeit laut. Kollmann zählt nüchtern auf, welche Theorien seitdem aus den unterschiedlichsten Interessen für den antiken oder mittelalterlichen Ursprung des Grabtuchs aufgestellt wurden. Die Auswertung der seit der Jahrtausendwende durchgeführten Konservierungsmaßnahmen und durch Hochleistungsscanner entdeckten neuen Indizien am Tuch selbst dauert freilich noch an. Der Neutestamentler Kollmann sieht jedenfalls in den Auferstehungsberichten Hinweise auf eine mögliche Echtheit des Gegenstands, „der mit dem Kreuzigungsleib Jesu Christi in Berührung gekommen sein könnte“. Sehr skeptisch zeigt er sich allerdings bei der Frage, ob eine Beziehung zu anderen Grabreliquien Jesu bestehe. „Nahezu keinerlei Akzeptanz findet die These des Kunsthistorikers Heinrich Pfeiffer und des Journalisten Paul Badde, dass es sich bei dem Seidentuch von Manoppello um das Schweißtuch aus dem Grab Jesu handele.“ Genau das ist jedoch die Sinnspitze des von eben jenem Paul Badde vorgelegten, mit prächtigen Farbbildern ausgestatteten Bandes über die Beziehung des Turiner Grabtuchs zu weiteren von ihm mit vielen Indizien als echt identifizierten Tüchern. Badde ist von der Echtheit des Turiner Grabtuchs überzeugt und zeichnet einen möglichen Weg bis zur ersten sicheren Erwähnung im ungarischen Codex Pray aus dem Jahr 1192 nach. Er verbindet das Leinentuch, in dem der Leichnam Jesu eingewickelt gewesen war, mit der Tradition der Familie Marias. Die Abwesenheit von Verwesungsgeruch am Ostermorgen hätte die Apostel die aus dem jüdischen Glauben kommende Überzeugung von der Unreinheit alles mit Tod in Verbindung Gekommenen überwinden lassen. Außerdem, so Badde, sei das Grabtuch nicht das einzige Zeugnis des leeren Grabes.

In dem Muschelseidentuch von Manoppello erkennt Badde das auf dem Gesicht Jesu gelegene kleine Tuch, das in byzantinischer Zeit als himmlische Unterstützung im Kampf vorangetragen wurde. Diese „vera icon“ beschäftigt seit etwa 30 Jahren die Manoppello- Fraktion und verunsichert die Sindonologen um das Turiner Grabtuch. Durch den Besuch Papst Benedikts XVI. in dem kleinen Abruzzen-Dorf haben die Anhänger des Seidentuchs enormen Auftrieb erhalten. Wie dem auch sei: Baddes Argumentationsgang ist faszinierend und zeichnet seinen eigenen Glaubensweg nach. Ob man so weit gehen kann, in dem auf dem Muschelseidentuch zu erkennenden Gesicht das „missing link“ der Osternacht zu sehen, ist eine Glaubensfrage. Faszinierend sind die Beobachtungen Baddes, etwa zum Osterfeuer der Griechisch- Orthodoxen, auf jeden Fall. Badde gelingt es, die Bedeutung des Bildes für das Christentum wieder zu verdeutlichen. Er lädt ein, die Texte der christlichen Überlieferung nicht nur als Worte zu lesen, sondern nach ihrer Illustration zu fragen. Die Bilder bilden für Badde „eine Schnittmenge zwischen Himmel und Erde ab. Sie stehen für die Realität der Erlösung, als Siegel der Wahrheit des Glaubens der Christenheit.“ Das Turiner Grabtuch und das Seidentuch von Manoppello werden auch weiterhin einer Festlegung auf eine einzige Interpretation widerstehen. Sie sind und bleiben aber Zeugnisse des christlichen Glaubens von Jahrhunderten und für Jahrhunderte.

Joachim Schmiedl

Quelle: Eulenfisch Literatur 3 (2010), Heft 2, S. 22f. [Literaturbeilage von Eulenfisch. Limburger Magazin für Religion und Bildung]


 

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