Das Antlitz Jesu Christi

Buchvorstellung - 31.12.2009

Paul Badde
Das Göttliche Gesicht
Die abenteuerliche Suche nach dem wahren Antlitz Jesu


München: Pattloch Verlag 2006
320 Seiten
ISBN 3-629-02149-2

Dieses Buch lässt den Leser nicht mehr los. Es geht schließlich um nicht mehr und nicht weniger als um die Suche nach dem Gegenstück zum Turiner Grabtuch Jesu. Seit einigen Jahren ist der in den Abruzzen gelegene kleine Ort Manoppello ins Bewusstsein der kirchlichen Öffentlichkeit getreten. Dort wird seit etwa 400 Jahren ein aus Muschelseide (dem antiken Byssus) gefertiges Tuch verehrt, in das das Bild eines Mannes eingeprägt ist, das dem Negativ auf dem Grabtuch von Turin als Positiv entspricht. Paul Badde, Journalist der Tageszeitung DIE WELT in Rom und Autor mehrerer religiöser Sachbücher), machte sich auf die Suche und entdeckte Faszinierendes.

Seine Hypothese, zu der am Ende seiner Recherchen kommt: Die Erzählungen der Evangelien vom leeren Grab Jesu und die sich darauf beziehenden Berichte lassen sich durch die noch heute vorhandenen Reliquien bestätigen. Am Kreuz wurde Jesus in der Todesstunde ein Tuch um den Kopf gebunden, um den Blutfluss aufzufangen – diese Reliquie befinde sich heute in Oviedo (Spanien). Darüber wurde ein weiteres mützenartiges Tuch gelegt, das ebenfalls Blutspuren aufweist – heute in Cahors (Frankreich). Im Grab wurde er in ein Tuch gewickelt – das Grabtuch von Turin. Darüber wurde ein Muschelseidentuch gelegt, das in seiner Durchsichtigkeit den Gesichtsabdruck Jesu in positiver und negativer Form enthält, allerdings ohne Blutspuren. Die Hypothese Baddes, auf die sich manche Kreise sofort begierig stürzten, klingt einleuchtend und hat eine hohe Wahrscheinlichkeit. Dennoch bleibt sie eine Hypothese, weil sich die Wege der entsprechenden Reliquien zu ihren heutigen Aufbewahrungsorten wohl nachzeichnen lassen, aber immer Lücken von mehreren Jahrhunderten bleiben.

Manoppello feiert 2006 das 500-Jahr-Jubiläum. Selbst wenn nach Badde dieses Datum einer Selbstrechtfertigung des Wallfahrtsortes aus späterer Perspektive entspricht, wird es mit einem Besuch des Papstes begangen. Damit fällt es zeitlich mit der Grundsteinlegung des Petersdoms zusammen, dessen Grundstein unter dem so genannten Pfeiler der Veronika gelegt wurde, also der Schatzkammer für das „wahre Abbild“ des Gesichts Jesu, das im Mittelalter die Hauptattraktion der Kirche des Vatikan war, sich aber seit dem Pontifikat Urbans VIII. im 17. Jahrhundert nicht mehr im Zentrum der Weltkirche befindet.

Unter theologischen Gesichtspunkten ist schließlich die Tatsache interessant, dass sowohl im Neuen Testament die Begriffe „Antlitz“, „schauen“ und „anblicken“ eine wichtige Rolle spielen als auch vom gegenwärtigen Papst und seinem Vorgänger mehrfach an prominenter Stelle zum Zentralmotiv der Verkündigung gemacht wurden. Und so wird Baddes Buch unter der Hand auch zu einem politischen Buch: Denn ob das „Gesicht Europas“ das Gesicht des Gekreuzigten und Auferstandenen ist, oder ob es andere Züge trägt, ist spätestens seit dem Karikaturen-Streit nicht mehr gleichgültig.

Doch auch jenseits aller (kirchen-)politischen Implikationen und Möglichkeiten der Vereinnahmung durch die eine oder andere Richtung macht das Buch nachdenklich. Die Pilatus-Frage nach der Wahrheit ist auch im historischen Sinn noch nicht abgeschlossen, kann zumindest nicht unbesehen in das Reich der Phantasie oder geschickten Fälschung abgedrängt werden.

Joachim Schmiedl

Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 35 (2006), Heft 2, S. 84.

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