Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI.
Jesus von Nazareth
Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung
Freiburg: Verlag Herder 2007
448 Seiten
ISBN 978-3-451- 29861-5
Der Theologe Joseph Ratzinger plante seit langem ein Buch über Jesus. Als Kurienkardinal erarbeitete er schließlich in den Jahren 2003 und 2004 erste Abschnitte dieses Projekts. Nach seiner Wahl zum Bischof von Rom nutzte er als Papst Benedikt XVI. jede freie Minute, um sich weiter diesem Buch zu widmen, dessen ersten Teil er nun – nicht als lehramtliches Schreiben, sondern als persönliches Buch des Theologen Joseph Ratzinger – zu seinem 80. Geburtstag vorlegt.
Der Wunsch, dieses Buch zu schreiben, entstand – wie Ratzinger im Vorwort darlegt – aus seinem Unbehagen darüber, dass seit den 50er Jahren zunehmend der von der Theologie untersuchte „historische Jesus“ vom „Christus des Glaubens“ auseinanderzuklaffen begann. Die historisch-kritische Methode entfernte immer mehr von den Aussagen der Evangelien als nachträgliche Umformung durch die Gemeinde der Glaubenden und ließ vom „historischen Jesus“ nur mehr ein sehr schwaches Bild erkennen. Demgegenüber möchte Papst Benedikt jetzt wieder ins allgemeine Bewusstsein rücken, dass der „wahre historische Jesus“ gerade der Christus des Glaubens ist. Dabei räumt er der historisch-kritischen Methode durchaus ihr Recht, ja sogar die Notwendigkeit ein, das in den Evangelien Gesagte als auf historisches Geschehen bezogen zu verstehen und es deshalb im entsprechenden historischen Zusammenhang erklären zu wollen. Doch der Versuch, aus den Evangelien die vermeintlich ursprünglichen Ereignisse im Gegensatz zu sog. nachösterlichen Textschichten herauszuarbeiten, ist für Ratzinger eine klare Fehldeutung: „Wo sollte eigentlich der nachösterliche Glaube hergekommen sein, wenn der Jesus vor Ostern keine Grundlage dazu bot?“ (S. 350) Die Evangelien erzählen nicht nur literarische Geschichten, Mythen, deren Wahrheit auf einer anderen Ebene liegt als derjenigen der Realität, sondern durchaus historische Fakten – geschichtliche Ereignisse, die dann freilich von den Autoren der Evangelien im Licht der Auferstehung und vor dem Hintergrund des Alten Testaments erinnert, so aber nicht verfälscht, vielmehr erst in ihrer vollen Wahrheit erfasst werden. Natürlich setzt es, so Ratzinger, einen Glaubensentscheid voraus, die Bibel so zu lesen, dass man Jesus ganz „von seiner Gemeinschaft mit dem Vater her“ (S. 12) versteht, „aber dieser Glaubensentscheid trägt Vernunft – historische Vernunft – in sich“ (S. 18). Wenn man dem Anspruch der Evangelien folgt, dann war der wahre „historische“ Jesus weder ein ethisch liberaler noch ein politisch rebellischer jüdischer Rabbi, sondern das Fleisch gewordene Wort Gottes, Christus, der Sohn des Vaters. Er hat den Gott Israels zu allen Völkern der Erde gebracht. Dies ist die allen vier Evangelien gemeinsame zentrale Aussage, die nur für unterschiedliche Adressatenkreise verschieden akzentuiert und erklärt wird. Das Reich Gottes oder die Herrschaft Gottes, die Jesus predigt, das ist seine eigene Gegenwart als der gehorsame Sohn, der ganz nach dem Willen des Vaters lebt. Mit dieser Glaubensaussage im Hintergrund gelesen, erhalten alle Schriftstellen einen schlüssigen Sinn und Einheitszusammenhang. Mit diesem Grundkonzept interpretiert Ratzinger in diesem ersten Teil seines Jesus-Buches den Lebensweg Jesu von seiner Taufe im Jordan über die Versuchungen in der Wüste, die Bergpredigt, das Vaterunser, drei wichtige Gleichnisse bis zur Verklärung. Dafür werden zunächst v.a. die synoptischen Evangelien ausgewertet, danach werden in einem eigenen Kapitel die großen Bilder des Johannesevangeliums (Wasser, Weinstock, Brot, Hirte) betrachtet. Die letzten beiden Kapitel (Petrusbekenntnis und Verklärung, Selbstaussagen Jesu) zeigen schließlich, dass die Synoptiker und Johannes bei allen Unterschieden doch die gleichen Aussagen über den Menschensohn und seine unauflösbare Gemeinschaft mit seinem himmlischen Vater enthalten. Eindrucksvoll gelingt Papst Benedikt mit diesem Buch zu zeigen, „dass gerade dieser Jesus – der der Evangelien – eine historisch sinnvolle und stimmige Figur ist“ (S. 21) und dass sich die Texte des Evangeliums für denjenigen – durchaus auch in Harmonie mit Erkenntnissen der historisch- kritischen Exegese – öffnen, der sich ihnen vom Glauben her nähert, „und es zeigt sich ein Weg und eine Gestalt, die glaub-würdig sind“ (S. 22). Jeder Leser wünscht sich sicherlich, dass der Heilige Vater neben seinen vielfältigen Aufgaben noch die Zeit finden möge, auch Teil 2 seines ebenso theologisch überzeugenden wie spirituell bereichernden Werkes zu vollenden. (Sankt Michaelsbund)
Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 36 (2007), Heft 3, S. 127.