Thomas Pröpper
Theologische Anthropologie
Freiburg: Herder. 2011
1. Teilband: 672 Seiten 40,00 € ISBN 978-3-451-32267-9
2. Teilband: 896 Seiten 54,00 € ISBN 978-3-451-34123-6
Thomas Pröppers große theologische Anthropologie setzt mit einer bedenkenswerten Selbstverständlichkeit ein – mit dem Faktum, dass der Mensch sich gerade nicht selbst-verständlich ist, und dass, wo immer das Humanum ansichtig wird, es die Gestalt einer Frage annimmt – der Frage schlechthin: Was ist der Mensch? Es ist nicht unsere biographisch erste Frage – doch einmal gestellt, lässt sie uns nicht mehr los.
Grund und Instanz zur Beurteilung möglicher Antworten darauf sind wir selbst, und zwar nach einem doppelten Kriterium: eine zureichende Antwort auf die Frage, die wir (uns) selbst sind, muss „der Radikalität der Frage standhalten in dem Sinne, dass ihr Inhalt dem Maß der suchenden Freiheit entspricht“ (52), und sie muss uns (erfahrbar!) dazu befähigen, wahrhaft zu leben, die eigene geschichtliche Existenz verbindlich zu übernehmen. Der christliche Glaube will eine solche Antwort sein, und Pröpper, der davon überzeugt ist, dass diese Antwort trägt, unternimmt es, in ganzer Breite dafür zu argumentieren, ohne darüber das „Vielleicht der theoretisch nicht zwingend auszuschließenden Alternative“ (56) zum Schweigen bringen zu wollen, dass der Mensch im Letzten doch ein Verlassener sei, dem Nichts überantwortet. Aber „vielleicht ist es wahr“ (56): dass ein Gott ist, der den Menschen gut ist, der sie als Gegenüber seiner Liebe, als Adressaten seines Heils und als Partner seiner Freiheit will.
Pröppers Anthropologie ist dem transzendentalen Freiheitsdenken verpflichtet, das er in seinen vorherigen Arbeiten entfaltet und als theologisch und philosophisch tragfähigen Zugang zum Verstehen von Gott, Welt und Mensch bewährt hat. Sein Ansatz, der schulbildend geworden ist, beansprucht nicht nur, im entschiedenen Mitvollzug der anthropologischen Wende, in der theologischen Aneignung des neuzeitlichen Autonomieprinzips, heutigem Reflexionsniveau zu entsprechen. Darüber hinaus steht Pröpper dafür ein, dass die Freiheitsanalyse in Struktur und Inhalt dem Kern des christlichen Offenbarungsglaubens entspricht, „dass es die wesentliche Bedeutung der Geschichte Jesu ausmacht, der Erweis der unbedingt für die Menschen entschiedenen Liebe Gottes und als solcher Gottes Selbstoffenbarung zu sein.“ (68)
Der 1. Teilband (Kapitel 3-6) seines opus magnum behandelt „Die Bestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott“. Im 2. Teilband kommt der Mensch in seiner geschichtlichen Existenz vor Gott in den Blick, zunächst (Kapitel 7-12), insofern er im Widerspruch zur Bestimmung seiner Freiheit zur Gottesgemeinschaft existiert („Die Sünde des Menschen“), sodann (Kapitel 13-17), insofern er dieser seiner Bestimmung entspricht („Die Gnade Gottes und der neue Mensch“). Kapitel 1-2 situieren das freiheitsanalytische Nachdenken über den Menschen in der heutigen Zeit. Die Durchführung der vielgestaltigen Einzelkapitel, in denen Pröpper die wesentlichen anthropologischen Fragestellungen aufgreift, bedenkt und von ihnen her das Spektrum systematisch-theologischer Fragen erschließt, geschieht nicht lexikalisch, sondern problemorientiert. Sie verläuft an den entscheidenden Kontroversen der Bibel, der Theologie- und Philosophiegeschichte entlang, nimmt epochale Weichenstellungen, exemplarische Positionen oder klassische Themen aus Geschichte und Gegenwart in den Blick und schärft an ihnen den eigenen Zugang und das für den eigenen Lösungsvorschlag nötige Problemniveau. Materialiter reicht das Spektrum vom Zusammenhang von Subjektivität und Gottesfrage über eine Problemgeschichte des Gottebenbildlichkeitsgedankens und seiner christologischen Zuspitzung über die Auseinandersetzung mit Naturalismus und theologischem Extrinsezismus, die Diskussion von Schuld, Sünde und Erbsünde, Moraltheologie und autonomer Ethik, die Aporien des nachtridentinischen Gnadenstreits bis hin zur Rechenschaftslegung über die eschatologische Hoffnung auf den für die Menschen entschiedenen Gott.
Die systematische Geschlossenheit der Freiheitsanalyse, ihr Lösungspotenzial für genuin theologische Fragestellungen und das denkerische Niveau der Durchführung dieser Anthropologie faszinieren und machen die beiden Bände, obgleich über 1.500 Seiten stark, zu einem ebenso anspruchs- wie eindrucksvollen Leseerlebnis. Pröppers Anthropologie ist in Form und Inhalt ein Lebenswerk, mit dem er die Linien seines Denkens in beeindruckender Stringenz und Begriffsschärfe zusammenführt und auf das Ganze der Theologie hin ausfaltet. Er benennt klar die Konsequenzen, die sich aus den entscheidenden philosophischen und theologischen Weichenstellungen beispielsweise für die christliche Soteriologie, für das Verständnis von Gnade und Sünde und schließlich für die Eschatologie ergeben. Seine Optionen in das komplexe Gefüge der Bezeugungsgestalten des Glaubens und der Reflexionsinstanzen der Theologie einzuspielen und ihre Relevanz zu erörtern ist der künftigen Diskussion seines Ansatzes aufgegeben. Eine menschlich schöne Note erhält seine theologische Summe dadurch, dass vier seiner Schüler – Michael Bongardt, Georg Essen, Michael Greiner und Magnus Striet – jeweils eines der insgesamt 17 Kapitel übernommen haben.
Julia Knop
Quelle: Eulenfisch Literatur 5 (2012), Heft 1, S. 56f.