Magda Motté
„Esthers Tränen, Judiths Tapferkeit“
Biblische Frauen in der Literatur des 20. Jahrhunderts
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2003
343 S., € 29.90
ISBN 3-543-16897-6
Die vorliegende Untersuchung ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts, das die durch einschlägige Veröffentlichungen ausgewiesene Literaturwissenschaftlerin Magda Motté mit Unterstützung der Universität Dortmund durchgeführt hat. Entstanden ist eine interdisziplinäre Arbeit auf der Grenze von Literaturwissenschaft und Theologie und eine vorläufige Gesamtschau, die Anregung für weitere Untersuchungen sein soll.
Die Arbeit ist aber auch eine längst überfällige Wiedergutmachung an biblischen Frauengestalten, die unter der theologischen und publizistischen Vorherrschaft von Patriarchen, Königen, Propheten und Aposteln ein bescheidenes Schattendasein geführt haben. Inspiriert ist die Neubewertung biblischer Frauengestalten durch die feministische Theologie und das gewandelte Frauenbild im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts.
Die Verfasserin bietet im ersten Teil ihrer Monographie Analysen ausgewählter Texte zu einzelnen Frauenfiguren des Alten und Neuen Testaments. Die einrahmenden Kapitel sind Eva, der Frau am Anfang der Bibel, und Maria von Magdala, der Frau am Ende von Jesu Lebensweg, gewidmet. Dazwischen begegnet der Leser über vierzig weiteren Frauengestalten – „Matriarchinnen“, „Frauen zwischen Exodus und Landnahme“, „Frauen rund um das Königtum“, „Frauen im Umkreis der Propheten“, „Literarische Figuren und Sagengestalten“, „Frauen des Neuen Testamentes“ –, die Vorlage zu literarischen Adaptionen geworden sind. Der zweite Teil enthält – ebenfalls der Chronologie der biblischen Bücher folgend – einen tabellarischen Überblick mit Namen und Kurzcharakteristiken biblischer Frauen sowie entsprechenden Belegstellen. Daneben werden in Auswahl Werke der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts aufgeführt, die um biblische Frauen als handelnde Personen kreisen. Wichtige Publikationen ausländischer Autoren und Sekundärliteratur ergänzen den Überblicksteil der Veröffentlichung. Ein nützlicher Anhang mit bibliographischen Angaben zu Sammel- und Gedichtbänden, einer Auswahl an Sekundärliteratur überwiegend neueren Datums, ein Namensregister biblischer Frauen und ein Autorenregister schließen den Band ab, ermöglichen dem interessierten Leser Weiterarbeit und erschließen ihm die hierzu wichtige Literatur. Auf diese Weise gewinnt die Monographie über ihren Charakter als Interpretationshilfe und Nachschlagewerk hinaus den Charakter eines Handbuchs und ist eine Fundgrube bisher unerschlossener Texte, die im Religions- und Deutschunterricht, in der Gemeindearbeit wie in der Erwachsenenbildung eingesetzt werden können. Der Wert des Buches wird sich noch erhöhen, wenn der in der Einleitung angekündigte Ergänzungsband mit schwer zugänglichen Quellentexten erscheinen wird. In der vorliegenden Veröffentlichung erweist sich Magda Motté wieder einmal als Entdeckerin mit bewundernswertem Spürsinn, als sensible und kritische Interpretin der Texte und als verkappte Poetin, die die literarischen Potenz ihrer Stoffe erkennt und die verpassten Chancen ihrer Realisierung bedauert.
Deshalb am Ende ihr ernüchternder Schluss: Biblische Frauen nehmen nur in wenigen Romanen und Dramen einen zentralen Platz ein. Diese Zurücksetzung oder Nichtbeachtung erklärt sie mit der männerzentrierten Weltsicht der biblischen Texte selbst, der Unterordnung menschlicher Einzelschicksale unter Gottes Heilsgeschichte, der patriarchalischen Tradition im Judentum und im Christentum und mit dem besonderen religiösen und ästhetischen Problem, biblischen Texten mit Souveränität, Phantasie und ironischer Distanz gegenüberzutreten und ihre Gehalte auf diese Weise überzeugend zu vergegenwärtigen. Wo dies dennoch versucht wurde, geschah es aus Interesse an der „femme fatale“, z.B. Delila, Salome, Magdalena (Wende 19./20. Jahrhundert), als Identitätsvergewisserung jüdischer Autorinnen und Autoren angesichts antisemitischer Feindseligkeiten (1. Hälfte des 20. Jahrhunderts) und infolge der populär gewordenen Erkenntnisse der Bibelwissenschaften und der Emanzipationsbestrebungen im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts. Dennoch bleibt der Ertrag, wenn man von der Lyrik und erzählerischen Kleinformen absieht, gering. Nur wenigen bedeutenden Schriftstellern wie Thomas Mann, Stefan Heym und Else Lasker-Schüler gelingen mehr als Achtungserfolge. Ähnliches gilt für die Literaturwissenschaft. Nur wenige Aufsätze, Monographien oder Dissertationen sind biblischen Frauen gewidmet. Das Fazit ist enttäuschend: „So ergibt sich aufs ganze gesehen bei der Zusammenstellung literarischer Werke zu biblischen Frauen eine Dokumentation von vielen Leerstellen. Dabei enthält die Bibel großartige Stoffe, die sich uneingeschränkt auch auf unsere Zeit übertragen lassen ...“
Hier zeigt sich das Dilemma der überaus verdienstvollen Autorin eines für die weitere Forschung wichtigen und menschlich sympathischen Buches: Als Wissenschaftlerin tritt sie engagiert für einen Gegenstand ein, dessen vertane Chancen und uneingelöste Möglichkeiten sie als Frau und Liebhaberin biblischer Literatur beklagen muss.
Rüdiger Kaldewey
Quelle: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer Bistum Limburg 33 (2004), Heft 1, S. 45.